Ich fühle mich gerade ein wenig wie diese Art von Mensch, über die ich im Normalfall schmunzle. Gemeint sind Menschen vom Stamme „Gier frisst Hirn“.
Das ärgert mich ganz besonders, da ich tendenziell eher der Typ Mensch bin, der erst mal einen prüfenden Blick aus dem Fenster wirft, bevor er jemandem blind glaubt, dass die Wiese grün ist.
Deshalb schiebe ich diesen Artikel auch nicht lange auf. Zu meiner Verteidigung führe ich im Vorfeld an, dass ich allen beteiligten Parteien Seriosität und mindestens einer Fachkompetenz unterstellt habe.
Mal ehrlich, man kann doch nicht nur noch misstrauen, oder!?
Eine neue Variante Corydoras hastatus?
Anfang Juli bekam ich über den Instagram-Messenger einen Link zu einem Reel auf dem Kanal von Olliver Knott, auch bekannt als „okisback“. Der Link kam von einem professionellen Scaper, mit dem ich schon seit einiger Zeit vernetzt bin.
Meine Aufmerksamkeit wurde erfolgreich auf eine offenbar neue Standortvariante der bekannten und sehr beliebten Zwergpanzerwelse „Corydoras hastatus“ gelenkt, den Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘.
Für die ganz Korrekten unter uns: Ich weiß, dass der Hastatus seit Kurzem den Vornamen „Gastrodermus“ trägt. Ich habe Gründe, in diesem Beitrag primär die alte Bezeichnung zu verwenden.
Zurück zum Reel. Mir gefiel spontan sehr, was ich sah! Und mehr im Spaß reagierte ich mit:
„Davon eine Zuchtgruppe. Das wärs.
“
Sein Angebot, die Bestellbarkeit dieser Tiere zu erfragen, nahm ich gern an. Ein Profi wie er hat zweifelsohne ganz andere Connections als wir „normalsterblichen“ Nassärmel.
Zeitnah bekam ich die Rückmeldung, dass die Tiere tatsächlich schon in wenigen Wochen über einen namhaften Zierfischgroßhändler lieferbar seien. Fast zu schön, um wahr zu sein, aber toll! Der Großhändler war für mich nicht unbekannt und mit 40 Jahren in diesem Geschäft, ein alter Hase. Wenn der sagt, er kann diese Tiere ordern, dann muss es sie ja geben.
Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘, was macht sie aus?
Wenn ich den herkömmlichen Corydoras hastatus – den ich über Jahre sehr erfolgreich gezüchtet habe – mit dem im oben verlinkten Reel vergleiche, fallen spontan einige wesentliche, optische Unterschiede auf.
Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘ zeigen auf den ersten Blick eine viel hellere Körperfarbe, als man es gewöhnlich kennt. Sie wirken fast ein wenig gläsern. Überdies verfügen diese Tiere über eine sehr stark ausgeprägte durchgehende Seitenlinie, die bis an den Kiemendeckel zu reichen scheint. In der Schwanzflosse hat dieser Wels eine unübersehbare Zeichnung und auch eine zweite schwarze Linie im unteren Körperbereich, nahe der Afterregion, sticht zusätzlich ins Auge. Damit du nicht scrollen musst, hier noch einmal der Link zum Reel von „okisback“.
Was von alledem hat der normale C. hastatus?
Sowohl diesen unteren Streifen, als auch die Zeichnung in der Schwanzflosse habe ich bei einigen wenigen Tieren der normalen Version des Hastatus gesehen. Eine leicht angedeutete Seitenlinie war mir ebenfalls nicht neu. Der normale Hastatus hat diese, wenn überhaupt, meist jedoch nur schwach ausgeprägt, und ich sah sie nie weiter als bis zur Körpermitte ausgeprägt. Was die Grundfarbe angeht, habe ich den Gastrodermus hastatus auch als sehr variabel kennengelernt. Es gab immer mal wieder hellere und dunklere Tiere bei meinen Nachzuchten. Sieh dir die Fotos meiner Tiere an und du wirst alle von mir beschriebenen Merkmale finden.
Wenn es dich interessiert: Ich plane längerfristig einen Zuchtbericht zur Vermehrung von Corydoras hastatus zu schreiben, den findest du dann hier. Abonniere doch einfach den Blog, dann wirst du über neue Beiträge informiert. (oben rechts in der Seitenleiste)
Ich fand es also nicht komplett abwegig, dass es einen C. hastatus geben könnte, der all diese Merkmale etwas ausgeprägter vereint. Entweder als eigene Standortvariante, oder aber durch Selektion herausgezüchtet und vielleicht einfach nach dem Standort des Züchters benannt!? Irgendwie versuchte ich mir zu erklären, dass ich die Tiere mit dem Zusatz sp. ‚Santarém‘ nie zuvor gesehen hatte und sie dennoch nahezu sofort zu beziehen waren. Das irritierte mich ein wenig.
Sowohl der Aquascaper, der mich auf die Tiere aufmerksam machte, als auch Oliver Knott sind für mich Menschen, die ich zweifelsohne für seriös halte, und wenn ich einem deutschen Großhändler diesbezüglich nicht glauben kann, wem dann?
Vorbereitung auf die Neuzugänge
Anfang Juli bekam ich einen Lieferzeitraum von 4-8 Wochen genannt. Das störte mich nicht weiter, denn ich entschied mich nun, meine Zucht mit meinen vorhandenen Hastatus komplett einzustellen, und verkaufte all meine Tiere ab. Nicht weiter schlimm, mein Gen-Pool war extrem klein und brauchte dringend eine Auffrischung.
Da ich davon ausging, dass eine neue Variante einzieht, konnte ich die Tiere jedoch auch nicht mischen. Also nutzte ich die Gelegenheit, das Becken einmal neu zu gestalten, schneckentechnisch auf Stand 0 zu bringen und, was das Wichtigste war, den Mattenfilter auszutauschen. Es ist ja bei Mattenfiltern so eine Sache, wenn man nur die eine Matte hat. Insofern kam mir der Leerstand ganz gelegen und die lange Einfahrzeit ebenso, denn diesbezüglich bin ich „old school“.
November, es ist soweit
Nachdem sich der Liefertermin auf Nachfrage einige Male verschoben hatte, war es Anfang November dann endlich soweit: Die Tiere waren lieferbar. Ich haderte etwas mit mir, weil ich mich im Falle von Problemen in der Verantwortung sehe, erzählte dann aber doch im letzten Moment noch Anna – von Annas Aquarien – von der Geschichte und fragte, ob sie auch Tiere haben möchte. Sie sagte spontan zu und es ließ sich auch kurzfristig noch organisieren, dass auch sie 30 Tiere bekommt.
Am 04. November trafen die Tierchen dann per Go! bei uns beiden ein. In der Transportbox meiner Tiere war die Temperatur auf 17 °C gesunken, sodass ich gewillt war, ihre Farblosigkeit für 24 Stunden dem Transportstress zuzuordnen. Nach 4 Stunden Aufwärmphase zogen sie dann in ihr Becken und begannen sich allmählich auf die typische Art zu bewegen. Nach einer Zeichnung in der Schwanzflosse oder einer Seitenlinie suchte ich vergebens. Einzig die blasse Färbung erinnerte an die Tiere aus dem Reel.
Ich stand natürlich in engem Austausch mit Anna. Meine Beobachtungen deckten sich mit ihren. Je länger die Tiere bei uns weilten, umso mehr verfestigte sich unser Eindruck, dass wir statt der bestellten Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘ ganz normal Corydoras hastatus erhalten hatten.
Recherche auf allen Kanälen
Uns drängte sich zunehmend der Verdacht auf, dass wir einem KI-Fake aufgesessen waren. Allein die Komponente Großhändler passte nicht in diese Theorie. Also fasste sich Anna ein Herz und schrieb zunächst mal Oliver Knott an, um in Erfahrung zu bringen, wie vertrauenswürdig die Quelle seines Reels sei. Er meldete sich zeitnah mit der Einschätzung zurück, dass er den Asiaten, aus dessen Linse dieses Reel stammte, für vertrauenswürdig hielt. Hmm.
Gibt es die Tiere also doch, und man hat uns versehentlich falsche Tiere eingepackt? Da wir sie über unseren Zwischenhändler erworben hatten, und der Lieferung auch kein Liefer- oder Packschein beilag, konnten wir das nicht ohne Weiteres prüfen. Ich fragte also noch einmal bei meinem Kontakt an, ob ihm bereits etwas in Schriftform vorliegt, das Aufschluss über die genaue Artenbezeichnung der gelieferten Tiere gibt und vielleicht auch auf deren Herkunft hinweist. Leider nicht.
Was sagt der Großhändler?
Am Mittwoch kontaktierte ich dann den Großhändler persönlich, erklärte, wer ich bin, dass ich auf Umwegen Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘ bei ihm bestellt und von ihm geliefert bekommen habe, und versuchte, Details zu dieser Standortvariante in Erfahrung zu bringen, unter anderem auch die genaue Herkunft.
Ich bekam die sinngemäße Antwort, dass er mir nichts Genaues zu den Tieren sagen könne, da es sich um „…die ersten Nachzuchten überhaupt…“ handele, und den Ursprung der Zuchttiere könne man auch nicht zurückverfolgen, da die gelieferten Tiere als Nachzuchten aus Asien importiert wurden. Er schien selbst ein wenig neugierig, denn er zweifelte an, „…dass es optische Unterschiede gibt …“.
Das irritierte mich zunächst noch nicht, denn unter Großhandelsbedingungen werden die Tiere nicht zwingend in voller Pracht erstrahlen. Irritiert hat mich dies erst am Folgetag.
Ich bedankte mich für die prompte Rückmeldung und antwortete, dass ich spontan kaum Unterschiede zu den normalen hastatus erkennen kann, die Hoffnung jedoch noch nicht aufgebe.
Gibt es den Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘ vielleicht gar nicht?
Eine ganz neue Art Südamerikaner, made in China? Möglich, aber doch eher unwahrscheinlich. Wieder hegten Anna und ich Zweifel an der Existenz dieser Art und tauchten tiefer in die Materie ein. Auch nach 24 Stunden sahen wir unter den 60 Tieren kein einziges, das auch nur ansatzweise denen im Reel glich.
Im Web fand man bislang ohnehin nur diese eine Quelle zu diesem Fisch, das Reel. Und ohne irgendwem den schwarzen Peter zuschieben zu wollen: Hätte ich nicht Vertrauen in die Kompetenz und Seriosität des deutschen Zierfisch-Großhandels, dann hätte ich ab Beginn Zweifel gehegt. Aber da war eben jemand, der sagte, er kann diese Tiere bestellen.
Sollten wir tatsächlich einem KI-gefakten Video auf den Leim gegangen sein? Eventuell wurde sogar der Großhändler verarscht? Dann kommen wir dem vielleicht mittels KI auf die Schliche. Setzt man KI mit Verstand ein, kann sie nämlich durchaus eine Hilfe sein. Anna hat mir vor einer Weile die Nutzung von https://copilot.microsoft.com/ nahegelegt und so fütterte ich das Tool mit meinen Fragen.
Wo liegen die Fanggebiete für Corydoras hastatus?
Corydoras hastatus stammt aus Südamerika und wird hauptsächlich im Amazonasgebiet gefangen, insbesondere in Brasilien, Argentinien, Bolivien und Paraguay.(…)
Gibt es Unterschiede zwischen den Tieren aus Brasilien, Argentinien, Bolivien und Paraguay?
Es gibt keine dokumentierten morphologischen oder genetischen Unterschiede zwischen Corydoras hastatus aus Brasilien, Argentinien, Bolivien und Paraguay – sie gelten als eine einheitliche Art mit breiter Verbreitung.(…)
Beantworte meine zwei Fragen bitte nochmals, nutze hierfür jedoch nur wissenschaftliche Seiten, auch aus dem Ausland.
Corydoras hastatus stammt aus mehreren südamerikanischen Ländern – wissenschaftliche Quellen bestätigen Fanggebiete in Brasilien, Argentinien, Bolivien und Paraguay. Es gibt keine belegten morphologischen oder genetischen Unterschiede zwischen den Populationen dieser Länder. (…)
Bitte verzichte auch auf Informationen aus Foren.
Beantworte mir meine Fragen noch einmal und lasse dieses Mal auch Wikipedia außen vor.
Und nun das Ganze nochmals unter identischen Anforderungen, aber mit weltweiten Quellen.



Zusammenfassung
Weltweit gibt es offenbar keine einzige seriöse, wissenschaftlich anerkannte Online-Quelle, der auch nur der Hauch von Unterschied zwischen den Tieren der vier bekannten Standorte zu entnehmen ist. Es wird hier offenbar nicht im Geringsten differenziert. Weder optisch noch genetisch! Sollte da nun wirklich eine so auffällige Standortvariante entdeckt worden sein, müsste es dann nicht irgendwo eine Information dazu geben?
Wie kann es sein, dass man in Asien Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘ pflegt, züchtet und sogar exportiert?
Meine letzte Hoffnung, das Rätsel zu lösen, lag darin, nochmals den Großhändler zu kontaktieren und ihn nach der genauen Bezeichnung der Tiere zu fragen, unter der er sie importiert hatte. Um schnell eine Antwort zu bekommen, entschied ich mich, ihn anzurufen. Zu meiner Freude erreichte ich ihn auch prompt und konnte meine Frage loswerden.
Die ernüchternde Antwort lautete sinngemäß, dass es sich bei den Tieren um herkömmliche Cordoras hastatus handele und er auch gar nicht wüsste, dass es andere gäbe und was es mit denen auf sich hat. Vor dem Hintergrund der vorausgegangenen Korrespondenz über den Facebook-Messenger einen Tag zuvor, machte mich diese Aussage wirklich sprachlos.
Er bot mir an, die Tiere zurückzunehmen. Für alles Weitere verwies er mich kurz und bündig an die Kontaktperson, über die geordert worden war. Ich lasse das an dieser Stelle einfach mal so stehen.
Zwischenzeitlich hatte ich Kontakt zu einem anderen Händler aufgenommen, dessen Netzwerk weit in Profikreise reicht. Keine der Personen, die er fragte, kannte diesen Fisch, jede dieser Personen bezweifelte dessen Existenz.
Ende gut, (fast) alles gut
Anna und ich tauschten uns ausgiebig zu der bestehenden Situation aus und kamen gemeinsam zu dem Entschluss, diesen Kauf rückabzuwickeln. Wir beide haben die Tiere erworben, um mit ihnen zu züchten. Corydoras hastatus aus asiatischer Massenzucht F25 oder was auch immer sind keine Basis, um eine Zucht zu beginnen. Die Tiere wurden von uns gut verpackt an Go! übergeben und gingen zurück an den Großhändler. Uns sind keine weiteren Kosten entstanden und unseren Kaufpreis haben wir bereits beide erstattet bekommen.
Dass die Tiere erneut durch die Gegend geschickt wurden, war uns beiden nicht gleichgültig.
Warum noch dieser Beitrag?
Unsere „Kontaktperson“ hat sich für das Durcheinander entschuldigt, der Kauf ist rückabgewickelt. Außer der unnötigen Arbeit und zwei Tagen Aufregung ist uns kein größerer Schaden entstanden. Dennoch habe ich mich aus mehreren Gründen für diesen Artikel entschieden.
Grund 1
Nachdem ich ernsthaft infrage stelle, dass es diese Fische tatsächlich gibt, möchte ich, dass man in der Google-Suche künftig zu dem Suchbegriff Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘ nicht nur ein verführerisches Reel findet, sondern auch diesen Beitrag, der berechtigte Zweifel an deren Existenz schürt.
Grund 2
Außerdem hatte ich kurz nach dem Einzug der Tiere ein Reel auf Instagram veröffentlicht, das verschiedene Reaktionen nach sich zog. Die einen waren neugierig und wollten mehr über diese Variante des Hastatus wissen, andere belächelten still den Bullshit, den ich da verbreitete, und ließen es mich erst später wissen, als ich das Thema von selbst ansprach. Dieser Beitrag dürfte eine plausible Erklärung dafür sein, wie es dazu kam, dass ich glaubte, Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘ bekommen zu haben.
Grund 3
KI macht sich in unserem Leben immer breiter. Während sie in vielen Bereichen eine Hilfe sein kann, kann sie auch genutzt werden, um Menschen zu schaden. Wir sollten dringend lernen, Online-Inhalten eine gesunde Skepsis entgegenzubringen. Zumindest sehe ich das so. Vielleicht kann ich hierfür ein wenig sensibilisieren. Hätten wir nicht ein gewisses Maß an Zweifel gehegt, würden wir – Anna und ich – demnächst unsere Nachzuchten unter falschem Namen verkaufen, andere Aquarianer verunsichern und uns kräftig zum Löffel machen.
Ich möchte nicht bewerten, an welcher Stelle in diesem ganzen Ablauf was genau falschgelaufen ist, zumindest nicht, indem ich es hier kommuniziere. Letztlich haben sich die involvierten Personen auf ein „Missverständnis“ geeinigt. Vielleicht sollte man den Verlauf der Geschichte auch in zwischenmenschlichen Belangen als Denkanstoß nehmen. Wenn man seinem Gegenüber so viel Wertschätzung entgegenbringt, dass man ihm richtig zuhört, reduzieren sich Missverständnisse.
Und vielleicht sollte man auch dem kleinsten Fisch in der Nahrungskette – metaphorisch gemeint – etwas mehr Wertschätzung entgegenbringen. Ohne die kleinen Fische ist der große Fisch nämlich meistens aufgeschmissen.
Mein Fazit zum Corydoras hastatus sp. ‚Santarém‘
Solange mir diese Fische niemand real und ohne Möglichkeit der Täuschung zeigt, zweifle ich an deren Existenz. Ich lasse mich gern eines Besseren belehren, aber bis dahin beantworte ich die eingangs gestellte Frage mit der Antwort: Deep-Fake!
In diesem Sinne, seid wachsam!





